Reden aus dem Abgeordnetenhaus

07. Oktober 2010:

Rede im Plenum des Abgeordnetenhauses (71. Sitzung) anlässlich der 1. Lesung des "Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin" (Integrationsgesetz):


Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:
... Für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Bayram das Wort.
Canan Bayram (Grüne):
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Integration und Partizipation von Migrantinnen und Migranten, das wir heute hier behandeln, leistet leider weder einen Beitrag zur Integration noch zur Partizipation. Vielmehr wäre es richtig gewesen, den Titel des Gesetzes „Gesetz zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung und zur Bestattung von Migrantinnen und Migranten muslimischen Glaubens“ zu benennen,
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]
denn lediglich das haben Sie in diesem Gesetz geregelt. Spannend war dann auch zu hören, wie Sie sich hier dazu geäußert haben, nämlich über alles andere, aber nicht über das eigentliche Gesetz. Das zeigt mir letztlich ganz deutlich, dass es Ihnen auch zu kurz greift oder Sie vielleicht in Teilen gar nicht verstanden haben, was der Senat hier vorlegt.
[Beifall bei den Grünen]
Das ist auch deswegen interessant, weil in der Gesetzesbegründung klar wird, dass der Senat selber nicht genau geklärt hat, für welche Fälle er diese Regelungen eigentlich vorsieht. Er konnte es in der Pressekonferenz auch nicht beantworten, wie viele Menschen denn von diesem Gesetz betroffen sind bzw. überhaupt profitieren können.
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Breitenbach?
Canan Bayram (Grüne):
Im Moment nicht, danke! – Daher habe ich in mehreren Kleinen Anfragen versucht, das Ziel herauszufinden, was der Senat unter „interkultureller Kompetenz“ versteht, auch, welche Analysen im Vorfeld unternommen wurden, um überhaupt festzustellen, welchen Missstand Sie mit diesem Gesetz beheben möchten. Weiterhin habe ich abgefragt, welche Maßnahmen bislang ergriffen wurden und versagt haben, sodass wir nun das Gesetz als Instrument brauchen. Die Antworten können Sie alle nachlesen, sie sind öffentlich und leider auch sehr dürftig.
Ich muss in diesem Kontext einfach noch einmal feststellen, weil es die Kollegin Breitenbach gerade wieder aufgegriffen hat: Menschen mit Migrationshintergrund in irgendwas hineinbekommen. Schauen Sie sich die Anfrage zu dem Thema, wie das definiert wird, an! Es gibt so viele Definitionen: migrantischer Hintergrund, nichtdeutsche Herkunftssprache. Fragen Sie in den unterschiedlichen Verwaltungen, Sie werden unterschiedliche Antworten erhalten! Was sagt mir das im Klartext? – Man hat sich nie zusammengetan, um einmal zu analysieren, zu definieren, um eben auch belastbare Zahlen zu haben, die dann Grundlage für ein Gesetz, für Entscheidungen sein könnten. Fehlanzeige! Hier wurde sehr vieles versäumt.
[Beifall bei den Grünen]
Eine Gruppe will ich besonders herausheben, weil sie durch dieses Gesetz letztlich doppelt bestraft wird: Es ist die sogenannte „dritte Generation“, die qua Definition herausgenommen wurde, nach dem Motto, die werden zwar am meisten diskriminiert – das wurde auch in unterschiedlichen Studien bereits herausgefunden –, aber das geht nicht, weil unsere Leute gesagt haben, das wollen wir nicht. Deswegen werden sie durch das Gesetz als „Nichtmigrationshintergrund“ definiert, fallen letztlich aus der Pseudovergünstigung, die ihnen hier hätte zu-kommen sollen.
Leider ist es auch so, dass bestimmte Lebensbereiche, in denen genau die Fragen und Problemstellungen, die auch heute hier diskutiert wurden, eine Rolle spielen, gar nicht erst angesprochen werden. Da ist der Bereich Schule. Da ist der Bereich Arbeit, aber auch die Hochschule. Das sind die Bereiche, in denen Integration stattfinden muss, in denen im Moment einfach unzureichend vorgegangen wird. Da müsste tatsächlich viel mehr geregelt werden. Das kann man auch durch ein Gesetz machen. In Teilen muss man es auch durch Gesetze machen, damit es über-haupt eine Wirkung zeigt. Aber auch hier wurde versagt. Es wurde nichts vorgeschlagen.
[Beifall bei den Grünen]
Diese rot-rote Koalition will das Gesetz um jeden Preis schnell hier durchpeitschen. Jahrelange Versäumnisse sollen durch das Gesetz überdeckt werden. Ich kann sagen: Schade, die Gelegenheit, diese Themen einmal gründlicher zu behandeln und darüber in der gesamten Gesellschaft zu diskutieren, wird dadurch versäumt.
Die Anhörung fand in den Schulferien statt, sodass sich kaum jemand daran beteiligen wollte. Man kann sich noch ein paar Gedanken darüber machen, warum das Gesetz nicht so gründlich diskutiert wurde. Mir fällt nur ein Mensch ein, der hier auch schon mehrfach genannt wurde, der in der einen Partei, die hier gerade regiert, dafür gesorgt hat, dass die Diskussion in eine andere Richtung geht. Vor dem scheint man Angst zu haben. Deswegen will man die Dinge nicht zugunsten der Migrantinnen und Migranten regeln.
[Beifall bei den Grünen]
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:
Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram!

Das komplette Protokoll der 71. Sitzung des Abgeordnetenhauses finden sie... hier: